Nicht ein Finger oder Daumennagel des Weltwunders in Rhodos
ist gefunden worden. Die am Boden liegenden, mehrere
Jahrhunderte bestaunte Trümmer wurden in schlechten Zeiten
als Altmetall verkauft und eingeschmolzen. So ist nicht nur
die Form und die Konstruktion der riesigen Figur unbekannt,
strittig ist seit 500 Jahren auch der Standort. Indessen
zeigen neue Beobachtungen am Nikolausturm der alten Mole am
Hafen, dass dort große Marmorblöcke vom Sockel des Kolosses
erhalten sind. Die Frage nach dem Aussehen der
Helios-Figur beantworten bronzene Statuetten in den Museen von
Paris, London Genf und Hannover. Sie zeigen den Sonnengott als
nackten, strahlend schönen jungen Mann, der offensichtlich
gerade seinem Sonnenwagen entstiegen ist, um die Fahrt am
Himmel auf seiner Insel Rhodos zu unterbrechen. Bei älteren
Darstellungen des Helios sind Wagen und vier Pferde
unabdingbarer Bestandteil der Darstellung. Charos von Lindos,
Schüler des berühmten Bildhauers Lysipp, hat den Koloss um
300 v. Chr. der Situation entsprechend erstmals als grüßenden
Gott Helios mit einer kurzen Peitsche in der Hand und ohne die
feurigen Pferde dargestellt. So erstaunt es nicht, dass die
kaiserzeitlichen Statuetten ein Echo des berühmten
Weltwunders sind.
Ein Wunder war die Konstruktion der 31m
hohen Statue, die auf den Beinen und einer schmalen Stütze
ausbalanciert werden musste und starken Stürmen zu trotzen
hatte.
Philon von Byzanz beschreibt im 4.
Jahrhundert nach Christus den Koloss, der damals längst
zerschellt am Boden lag, als Wunder aus Bronze, Eisen und
Steinen. Genau nach diesen Angaben ist in der Ausstellung ein
von Berggold angefertigtes Modell zu sehen. Ein zweites Modell
zeigt die komplizierte Ausführung der Statue, wobei es die
Angaben Philons und die neuen Kenntnisse zur Technik der
rhodischen Bronzegießer berücksichtigt.
Helios gehörte nicht zu den 12 wichtigen
Göttern mit Wohnsitz im Olymp. Dennoch wurde er in Rhodos -
und nicht nur dort - als Hauptgott und Beschützer verehrt.
Neue Forschungen gelten dem bislang ganz unbekannten Heiligtum
des Sonnengottes und dem Clubhaus der Heliasten, des religiösen
Vereins, den wir aus zahlreichen Inschriften kennen.
Prof. Dr. Wolfram
Hoepfner
Freie Universität Berlin