Zur Wiedereröffnung der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien am 5. September 2005

Die Geschichte der Sammlung

Bereits im äußeren Erscheinungsbild des Kunsthistorischen Museums wird deutlich, welch hoher Stellenwert in diesem Haus der Antike, die gleichsam das geistige Fundament der Sammlungen bildet, eingeräumt wird: Die Kuppel wird von der weithin sichtbare Bronzestatue der Pallas Athene als Göttin der Weisheit und Schirmherrin über Wissenschaft und Kunst bekrönt. Auf der Attika über dem Eingang ist in großen Lettern die Widmungsinschrift zu lesen: "Den Denkmälern der Kunst und des Alterthums", wobei die beiden Begriffe hier freilich nicht Gegensätze, sondern Epochen bezeichnen wollen. Und der Skulpturenschmuck der Außenseiten ist diesen verschiedenen Kunstepochen zugeordnet, wobei die Fassade auf der Seite der Babenbergerstraße der Kunst, Kultur und dem Mythos der Antike gewidmet ist, die anderen Seiten dem Mittelalter, der Renaissance und der Neuzeit.

In der geistigen Tradition der Renaissance und des Humanismus wurden antike Münzen von den habsburgischen Herrschern schon im 15. und 16. Jahrhundert gesammelt (Maximilian I., Ferdinand I.). Damals wurden auch die ersten Sammlungen römischer Inschriften angelegt, wie jene des Wiener Arztes und Gelehrten Wolfgang Lazius. Kaiser Maximilian II. (1564-1576) unternahm besondere Anstrengungen, antike Skulpturen aus Italien zu erwerben. Sie dienten dem Schmuck von Brunnen- und Gartenanlagen in Schlössern wie Schloss Neugebäude im Osten von Wien. Der Grundstock der Sammlung geschnittener Steine, die heute annähernd 6000 Objekte umfaßt, wurde im 16. und 17. Jahrhundert gelegt, von Erzherzog Ferdinand auf Schloß Ambras bei Innsbruck, von Kaiser Rudolf II. in Prag und seinem Nachfolger Matthias in Wien. Dabei wurden die neuzeitlichen von den antiken Stücken ganz bewußt nie getrennt. Erzherzog Ferdinand (1564-1595) besaß auf Schloß Ambras neben Kunstkammer, Rüstkammer und Bibliothek auch ein Antiquarium, in dem antike und antikisierende Büsten und Skulpturen aufgestellt waren. Unter den Kameen, die Rudolf II. (1576-1612) besaß, befand sich auch bereits der Adlerkameo (Kat.-Nr. 74) und die berühmte Gemma Augustea (Kat.-Nr. 75). Die Sammlung Erzherzog Leopold Wilhelms, Bruder Kaiser Ferdinands III., die dieser während seiner Statthalterschaft in den Niederlanden (1647-1656)

erworben hatte, enthielt neben der berühmten Gemäldesammlung auch 542 Statuen und Büsten, darunter auch antike Stücke, die sich aber heute nicht mehr feststellen lassen. Das Interesse Kaiser Karls VI. (1711-1740) an der Antike geht schon aus dem Umstand hervor, daß er auf Reisen das Spanische Cabinet mit sich zu führen pflegte, einen Kasten mit ausgewählten Münzen und Kameen. 1727 wurde dem Kaiser die in Kalabrien gefundene Bronzetafel mit dem berühmten Senatus consultum de Bacchanalibus (Kat.-Nr. 59) in einem kostbaren Schildpattrahmen zum Geschenk gemacht. Im Treppenhaus der Hofbibliothek ließ Karl VI. römische Inschriftsteine, die zum Großteil aus Siebenbürgen stammten, einmauern.

Unter Kaiserin Maria Theresia wurde 1765 das Münzkabinett am sogenannten Augustinergang, einem langgestreckten Gebäude am Äußeren Burgplatz vor der Hofbibliothek, untergebracht und 1779 durch die Übernahme der geschnittenen Steine aus der Schatzkammer wesentlich erweitert. Die Direktion der Sammlung antiker Münzen wurde Joseph Hilarius Eckhel, dem Begründer der modernen Numismatik, anvertraut. Als das eigentliche Geburtsjahr der Antikensammlung muß das Jahr 1798 bezeichnet werden, in dem Franz de Paula Neumann zum alleinigen Direktor des k.k. Münz- und Antikenkabinettes bestellt wurde. Neumann verfolgte in seiner Direktionszeit (1798-1816) den Plan, ein vollständiges Antikenkabinett zu schaffen, das neben Gemmen und Pretiosen die materielle Hinterlassenschaft der Antike möglichst umfassend beinhalten sollte. Aus dem gesamten Hofbereich, so aus der Schatzkammer und den Schlössern Schönbrunn und Belvedere, wurden antike Steinskulpturen, Büsten und Bronzen zusammengeführt, die bis dahin als Einzelstücke vornehmlich der Ausschmückung von Prunkräumen und Gärten gedient hatten. Zwei Objekte mögen hier hervorgehoben werden: 1805 wurde aus der Hofbibliothek der berühmte Amazonensarkophag (Kat.-Nr. 15) übernommen, und im Jahr darauf die Bronzestatue des Jünglings vom Magdalensberg (Kat.-Nr. 91 ) aus Salzburg nach Wien gebracht - damals noch in der sicheren Annahme, daß man nun in den kostbaren Besitz des 1502 auf dem Magdalensberg gefundenen römischen Originals gekommen sei.

Um die bald überfüllten Räumlichkeiten am Augustinergang zu entlasten, wurden 1823 in den Substruktionen des von Peter Nobile erbauten Theseustempels im Volksgarten eine große Zahl römischer Altertümer aufgestellt. In dieser unterirdischen Halle wurde mit antiken Denkmälern, die aus den Ländern der Monarchie stammten (Steinskulpturen, Inschriften, Bronzen), das älteste römische Provinzialmuseum Österreichs geschaffen. Diese „Katakomben“, die auch für das Publikum geöffnet wurden, mußten allerdings schon bald aufgrund der dort herrschenden Feuchtigkeit wieder geschlossen werden – ein Schicksal, das antike Objekte im Theseustempel noch einmal ereilte: Zwischen 1901 und 1911 war in der Cella des Tempels eine erste Ausstellung ephesischer Fundstücke untergebracht. 1845 wurden sämtliche antike Skulpturen und Inschriftsteine aus dem Augustinergang in das Untere Belvedere verbracht.

Für das rasche Anwachsen der Sammlung waren vor allem drei Komponenten verantwortlich: zum einen die am Ende des 18. und am Beginn des 19. Jahrhunderts meist zufällig entdeckten Bodenfunde, insbesondere die reichen Schatzfunde, die aus allen Teilen der Monarchie nach Wien gelangten, zum anderen großzügige Schenkungen sowie der Ankauf zahlreicher Privatsammlungen, für die zum Teil beträchtliche Summen aufgebracht wurden. Hier sind vor allem drei Sammlungen zu nennen: im Jahre 1808 die umfangreiche Sammlung von Kleinbronzen aus dem Nachlaß des Angelo de France, Generaldirektor der Schatzkammer unter Kaiserin Maria Theresia, und in den Jahren 1804 und 1815 insgesamt mehr als 900 antike Vasen aus dem Besitz des Vincenz Maria von Rainer zu Harbach, Privatsekretär der Königin Maria Karolina von Neapel, sowie des Grafen Anton von Lamberg-Sprinzenstein, Gesandter am Hof zu Neapel. In der Lambergschen Sammlung war auch der junge Peter Fendi beschäftigt, der von 1818 bis 1842 als Zeichner und Kupferstecher am Münz- und Antikenkabinett eine äußerst fruchtbare künstleriche Tätigkeit entfaltete.

In der Folge standen für Erwerbungen nie mehr so bedeutende Geldmittel zur Verfügung, weshalb auch der systematische Ausbau der Sammlung unterbleiben mußte. Dennoch konnte der Sammlungsbestand, von Einzelerwerbungen abgesehen, noch mehrmals beträchtlich vermehrt werden. Der Bereich der Skulptur wurde vor allem durch archäologische Unternehmungen im ostgriechischen Kulturbereich erweitert: 1873 und 1875 durch Architekturteile und Bauplastik aus den Grabungen im Mysterienheiligtum auf der griechischen Insel Samothrake; 1882 bis 1884 durch die Erwerbung der Reliefs des Heroons von Trysa, einem im Südwesten der heutigen Türkei auf der Halbinsel Lykien gelegenen Grabbezirk eines einheimischen Fürsten; und schließlich durch zahlreiche Funde aus der an der Westküste der Türkei gelegenen antiken Metropole Ephesos, die in den ersten Jahren der österreichischen Grabungen (1896-1906) mit Genehmigung der türkischen Behörden nach Wien gebracht werden konnten.

1922/23 wurden die Antiken (Skulpturen, Inschriften, Vasen) der “Estensischen Kunstsammlung“ inventarisch übernommen, darunter so bedeutende Skulpturen wie die Aphrodite d’Este (Kat.-Nr. 20) oder die Parthenonfragmente (Kat.-Nr. 6). Die Sammlung befand sich ursprünglich auf Schloß Catajo bei Este in Oberitalien und kam auf dem Erbweg über die Herzöge von Modena in den Besitz des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand. Die Vasensammlung erfuhr durch die im Jahre 1940 erfolgte Zusammenlegung mit den Beständen des damaligen Museums für Kunst und Industrie (heute Österreichisches Museum für angewandte Kunst) eine beträchtliche Vermehrung um mehr als 900 Objekte, darunter Meisterwerke wie der Brygos-Skyphos (Kat.-Nr. 42), die Schalen des Malers Duris (Kat.-Nr. 41) oder die Caeretaner Hydrien (Kat.-Nr. 38).

1891 übersiedelte die Antikensammlung vom Augustinergang in der Hofburg und aus dem Unteren Belvedere in das neu eröffnete Kunsthistorische Museum. Für die Funde aus Ephesos und Samothrake sowie für die Reliefs des Heroons von Trysa war in den Schauräumen jedoch nicht ausreichend Platz vorhanden. Nach einer Reihe von Provisorien konnte 1978 das Ephesos-Museum im Hemizykelbau der Neuen Burg eröffnet werden. 

Die Neuaufstellung

Zur Zeit der Eröffnung des kunsthistorischen Hofmuseums im Jahre 1891 erstreckte sich die räumliche Ausdehnung der Antikensammlung auf die Säle VII bis XIV des Hochparterres. Zwar wurden die Säle VII bis IX im Laufe der Zeit an die Ägyptisch-Orientalische Sammlung abgetreten, doch wurde der Raumanteil der Sammlung insgesamt beträchtlich erweitert, sodaß sie heute mit 9 Sälen (X – XVIII) und 7 Kabinetten (1 - 7), die früher als Direktion und Büroräume genutzt wurden, über eine Gesamtfläche von 1460 m² verfügt. Wer den Zugang über die ägyptische Sammlung wählt, wird im Saal X vom Torso des polykletischen Doryphoros als einem Leitbild der griechischen Klassik angezogen, während am zweiten Eingang im Kabinett 7 die Bronzestatue des Jünglings vom Magdalensberg den Besucher erwartet.

Das wissenschaftliche Konzept der schon seit längerer Zeit geplanten Neuaufstellung wurde von den Mitarbeitern der Antikensammlung erstellt, die umfangreichen restauratorischen Arbeiten wurden vom Personal der sammlungseigenen Restaurierwerkstätte durchgeführt, für die gestalterische Umsetzung der Neuaufstellung war Arch. Hans Hoffer verantwortlich.

Grundvoraussetzung für die dringend notwendig gewordene Neuaufstellung, für eine zeitgerechte Präsentation der Sammlung, war die durchgehende Elektrifizierung sämtlicher Ausstellungsräume, die neben der Saalbeleuchtung erst eine Objekt- und Vitrinenbeleuchtung möglich macht. Durch das Kunstlicht konnten auch Elemente der Raumarchitektur und die Deckenmalerei in die Gesamtinszenierung einbezogen werden, so im Saal X die allegorischen Darstellungen der einzelnen Disziplinen der Altertumswissenschaft, vor allem aber im Saal XI der Fries von August Eisenmenger mit mythologischen Szenen aus der Welt der olympischen Götter.

Wiederholte Umstellungen und zahlreiche Neuerwerbungen hatten zur Folge, daß der ursprünglich einheitliche Charakter der Ausstellungsbehelfe mit der Zeit verloren gegangen und das Gesamtbild der Sammlung durch die in Material und Ausführung unterschiedlichen Vitrinen- und Sockeltypen beeinträchtigt wurde.

Im Zuge der Neuaufstellung wurden nur im Saal X mit den Skulpturen der griechischen Klassik die alten Marmorsockel als sammlungsgeschichtliches Zitat belassen, alle übrigen Sockel wurden überwiegend aus einem dichten Kalkstein in schlichter Ausführung neu angefertigt. Ähnlich wurden auch bei den Vitrinen nur in den Sälen XIV (griechische Keramik) und XV (römisches Kunsthandwerk) Stand- und Pultvitrinen verwendet, die noch aus der Grundausstattung des Hauses stammen: schwarz gebeizte Holzuntersätze mit vergoldeten Zierelementen, die Standvitrinen mit hohen Glasaufsätzen in Messingrahmen, wobei die Restaurierung und Umrüstung dieser historischen Vitrinen in licht-, klima- und sicherheitstechnischer Hinsicht besonders aufwendig war. Im Gegensatz zu diesen alten sind die neuen Vitrinen schlicht gehalten und lassen durch ihre Transparenz die in ihnen ausgestellten Objekte besonders gut zur Geltung kommen. Besondere Sorgfalt wurde auf die Montage der Köpfe und Skulpturen gelegt: Da das Originalobjekt mit dem Sockel nicht verschmelzen soll, wurden manschettenartige Paßstücke aus Bronzeguß hergestellt, die den entsprechenden Abstand zum Sockel und die richtige Position des Originals garantieren.

Das Gesamtkonzept der Neuaufstellung wird weniger von den verschiedenen Materialgruppen bestimmt, sondern berücksichtigt stärker als bisher kulturhistorische Zusammenhänge und didaktische Belange. Meisterwerke werden in Einzelvitrinen aus der Materialfülle herausgehoben, sodaß auch der nur kurz verweilende Besucher auf sie aufmerksam gemacht wird. Ein mehrstufiges Informationssystem und eine ausführliche Dokumentation wird in drei Räumen durch sogenannte virtuelle Fenster erweitert, in denen künstlerische, motivische und technische Details les- und sichtbar gemacht werden können. Jene Bereiche, die im Besonderen den hohen internationalen Stellenwert der Sammlung ausmachen, wie die antiken Gemmen und Kameen sowie die spätantiken und völkerwanderungszeitlichen Schatzfunde, werden in den Sälen XVI und XVII zum Teil in Spezialvitrinen präsentiert – dies gilt vor allem für die Schatzfunde, deren kostbare Objekte in Vitrinen gezeigt werden, die in ein begehbares Gehäuse aus gerostetem Stahl eingebaut sind. Erstmals wird in den Sälen XII und XIII die Entwicklung des römischen Portäts in einer Porträtgalerie veranschaulicht, ergänzt durch Einzelvitrinen mit acht Mumienporträts der Sammlung. In den neuen Kabinetten wurden thematische Schwerpunkte gesetzt: die Kultur und Kunst Zyperns, Etruriens, Unteritaliens sowie der Austria Romana. Im Kabinett 5 wird mit drei Reliefplatten mit dem Freiermord des Odysseus auf ein bisher ungelöstes Problem hingewiesen: die museale Präsentation der Reliefs des Heroons von Trysa, dessen Verwirklichung ein wichtiges zukünftiges Desiderat bleibt.

Das Archäologische Nationalmuseum in Athen stellte der Antikensammlung anlässlich ihrer Wiedereröffnung eine kostbare Leihgabe zur Verfügung:

GRABSTELE DER DAMASISTRATE

Attisch, 3. Viertel 4. Jh. v. Chr.

Aus Athen-Piräus (1838)

Pentelischer Marmor

Athen NM Inv.-Nr. 743

 In einer tempelförmigen Nische sitzt die Verstorbene auf einem Thronsessel, bekleidet mit Chiton und Himation, das schleierartig über den Hinterkopf gezogen ist. Sie reicht einem bärtigen Mann zum Abschied die Hand. Im Hintergrund steht eine Frau, den Kopf in Trauergestus auf die linke Hand gestützt. Hinter der Verstorbenen steht eine Dienerin.

Auf dem Architrav ist die griechische Inschrift zu lesen: Δαμασιστράτη Πολυκλείδου („Damasistrate, Tochter des Polykleides“).

 Dr. Kurt Gschwantler

Direktor der Antikensammlung